Brot für die Armen
Jetzt ist er endgültig da – der Herbst. Und mit ihm der Geruch von Rauch auf den Feldern, das Rascheln der Blätter, der dampfende Atem in der kalten Luft und das Brauchtum, das in die Stille führt. Hin zum Jahresende.
Armenseelengeher am Bettelfenster eines Bauernhauses in Diersbach, Oberösterreich
Anfang November, zum Fest Allerheiligen und Allerseelen, gedenken viele von uns den Verstorbenen, die Teil ihres Lebens waren und sind. Den Friedhof zu schmücken, Kerzen anzuzünden und Zeit mit der Familie zu verbringen, gehört für die meisten ganz selbstverständlich zu diesem Fest dazu.
Allerheiligen am Petersfriedhof in Salzburg – (Foto gefunden auf und verlinkt mit magazin.salzburgerland.com)
Steckt mehr dahinter?
Ja, natürlich.
Besonders in der alpenländischen Bevölkerung war der Einfluss der Jahreszeiten auf das Leben unumgänglich. Ihre Tätigkeiten hingen unmittelbar mit der Natur und deren Entwicklung zusammen. So teilten zwei wichtige Wendepunkte das Jahr in „Auswärts“ und „Einwärts“: „Auswärts“, in Kärnten auch als „Auswart“ bekannt, stand für den Frühling, das Hinausgehen auf die Felder. Er endete, sobald das Vieh wieder zurück in den Stall musste und die Ernte eingebracht war.
Dann nämlich – in etwa zwischen Ende Oktober und dem Martini-Fest – begann der „Einwärts“, der besonders der Verarbeitung der Ernte während der Wintermonate gewidmet war. Und genau in diese Zeit fällt bekanntlich auch Allerheiligen.
Die Geschichte rund um das Totengedenken setzt bereits im 4. Jahrhundert ein. In der Ostkirche wurde der Märtyrer gedacht, allerdings zu einem Zeitpunkt im Frühjahr. Erst Papst Gregor IV. verlegte „Allerheiligen“ auf den noch heute gültigen 1. November. Ein Jahrhundert später gesellte sich dann das Allerseelenfest dazu.
Erlösung aus dem Fegefeuer
In einer Zeit, in der so gut wie alle Menschen in Europa im Bann der Kirche lebten und deren Regeln strikt befolgten, war es den Gläubigen wichtig, im Hier und Jetzt bereits für das Leben nach dem Tod vorzusorgen. Gute Taten sollten vor dem Fegefeuer bewahren und konnten auch bereits vorangegangene Familienmitglieder erlösen.
Ein Wecken Brot als Geschenk
Aus diesem Verlangen heraus entwickelten sich die Bräuche rund um die sogenannten Seelenlaibel, Seelwecken, Seelstuck oder Heiligenzelten (Heinzgen). Dabei wurden nicht nur Brot, Salz und andere Speisen auf die Gräber gestellt, sondern vor allem auch die Armen mit diesen Allerheiligenbroten beschenkt.
Ganz ungewöhnlich für die sonst sehr stille Zeit im Herbst, waren an diesen zwei Tagen noch bis in die 30er-Jahre des 20. Jahrhunderts zahlreiche bitterarme Menschen auf den Straßen und Wegen zu oft entlegenen Höfen unterwegs und baten dort um Seelwecken und Heiligenstriezel. Als Dank gab es für die Spender den Segensspruch „Vergelts Gott für die Armen Seelen!“.
Teig-Mischen in Widdersberg am Ammersee – um 1930 – (Foto gefunden auf und verlinkt mit widdersberg.de)
Harte Arbeit: Bäuerin beim Brotbacken – (Foto gefunden auf und verlinkt mit gettyimages.com)
In zahlreichen Bauernhäusern wurden dafür zwischen 400 und 600 (!) Brote gebacken und an die Armen verteilt! Freilich – feine Weizen-Brioche-Zöpfe hat es darunter nicht gegeben. Die Striezel waren allesamt aus Roggenmehl, an manchen Orten wurde auch Hafer beigemengt.
Historische Allerheiligen- und Allerseelen-Gebäcke aus Oberösterreich
Heute schauen Allerheiligenstriezel anders aus. Unser Brioche-Zopf ist zudem das ganze Jahr über erhältlich.
Rezept: Allerheiligenstriezel oder Brioche-Zopf
Möchtest Du gerne selbst einen Allerheiligenstriezel backen? Hier unser Rezept für Dich:
Zutaten für 4-5 Brioche-Zöpfe:
Dampfl:
450 g Weizenmehl T700
20 g Hefe
400 g Wasser
Teig:
1,2 kg Weizenmehl T700
3 Dotter
2 Eier
270 g Zucker
30 g Salz
100 ml Milch
100 ml Wasser
1/2 gekochte Kartoffel – zerdrückt
60 g hefe
Zesten von ungespritzten Zitronen und Orangen
30 dag Butter
Zubereitung:
Um das Dampfl zuzubereiten, die Zutaten mischen und ca. 1 Stunde stehen lassen, bis sich das Volumen zumindest verdoppelt.
Danach die zerdrückte, abgekühlte Kartoffel und mit den restlichen Zutaten für den Teig – mit Ausnahme der Butter – und dem Dampfl mischen und gut auskneten (im schnellen Gang). In der Zwischenzeit die Butter bei Raumtemperatur weich werden lassen und nach ca. 5 bis 6 Minuten in die Knetmaschine beigeben.
Teig aufteilen und Zöpfe formen. Flechten.
Hohe Kunst des Zöpfens: So wird ein Sechserzopf geflochten. Unser Tipp: In unserer BACK.WERK.STATT kannst du es von unseren Meisterbäckern persönlich lernen.
Den Brioche-Zopf mit Ei bestreichen. Etwas stehen lassen, bis sich eine leichte Haut bildet und ein weiteres Mal bestreichen.
Bei mittlerer Hitze in den vorgeheizten Ofen (ca. 160 ° C) schieben, nach 2 Minuten die Temperatur auf ca. 145 ° C absenken und nach 30 – 35 Minuten ausbacken.
Genießen 🙂
Aus feinstem Weizenmehl, mit süßen Rosinen verfeinert – so präsentiert sich der Striezel heutzutage
Peter Rossegger über Allerheiligenstriezel
„…Im steirischen Oberland kommt im Spätherbst, wenn die Natur ihre Gaben verteilt hat, der Arme zum Wohlhabenden und bringt einen leeren Sack mit. Da wird das Fest aller Heiligen zum Fest aller Armen. Es ist erfreulich zu erzählen. Schon ein paar Tage vor dem Allerheiligenfest geht ein sonderlicher Geist durch Haus und Hof. Jedes Haus schaut aus wie eine große Bäckerei. Der Bauer streicht durch die Kornkammer, die Bäuerin herrscht in der Küche und schafft selbst wacker mit beim Kneten und Backen, und der Bissen des neuen Brotes, welchen sie zur Probe verzehrt, ist wohl der einzige den ganzen Tag. Ihr Herz ist gesättigt vom Brote, das andere essen werden. Mehrere hundert Brotlaibe werden gebacken, bereit zum Verteilen.
Am Vorabend des Allerheiligenfestes nun ziehen die Armen in ganzen Familien scharenweise von Haus zu Haus, von Ort zu Ort, und jedes hat seinen Sack oder seinen Korb. …. Sie kommen ins Haus, sie stehen an der Türschwelle, sie grüßen mit dem vielstimmigen Ruf: „Bitt gar schön um einen Allerheiligenstriezel!“ Da wird geteilt und jedes bekommt sein Laibchen. ….
Es ist eine Freudigkeit in den armen Leuten: die Säcke und die Körbe werden schwer, geben viel zu schnaufen, aber das Herz jauchzt vor Freude und der Magen darf sich neuen Hoffnungen hingeben für die Zukunft….“
Für uns heutzutage inmitten all der Fülle ist es freilich nicht leicht, sich vorzustellen, was diese Brote für die Armen damals bedeutet haben. Ein paar Wochen sicheres Essen, ein paar Wochen Pause von der absoluten Armut.
Mit dem Verschwinden der sozialen Not ist – nach und nach – auch das „Seelwecken-Gehen“ abgekommen.
Krapfenbettler in Pfunders, Südtirol
Krapfenschnapper in Patriasdorf, Osttirol
Krapfen statt Striezel
Besonders in den westlichen Gebieten Österreichs (mit Ausnahme von Vorarlberg) wurden statt der Striezel Krapfen erbettelt. Meist unter Masken versteckt oder anderweitig verkleidet sind die sogenannten Krapfenschnaggler oder –schnapper unterwegs, um ihre „Beute“ einzuholen. Auch sie „bezahlen“ mit Segenssprüchen, die von den Bauern sehnsüchtig erwartet werden.
Bald beginnt die Krapfenzeit – ma guat!
So ist es also gar nicht weit hergeholt, wenn wir heutzutage den Faschingsbeginn zu Martini, am 11. 11., mit dem Backen und Vernaschen von Krapfen begehen. Wir führen damit sozusagen eine alte Tradition dieser Jahreszeit fort und… das wichtigste:
… es schmeckt! – Ma guat!
Quelle: „Österreichisches Festtagsgebäck“ von Ernst Burgstaller, Trauner Verlag
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